Der Sport gehört in die Mitte der Gesellschaft

Im Gespräch weist Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich seines Besuches der Deutschen Olympiamannschaft in London auf die Vorbildfunktion von Sportlern hin.

Joachim Gauck traf sich mit Athletinnen und Athleten der Deutschen Olympiamannschaft und Teilnehmenden des Olympischen Jugendlagers. Foto: picture-alliance
Joachim Gauck traf sich mit Athletinnen und Athleten der Deutschen Olympiamannschaft und Teilnehmenden des Olympischen Jugendlagers. Foto: picture-alliance

Bundespräsident Joachim Gauck hat die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London besucht und sich anschließend auch mit Athletinnen und Athleten der Deutschen Olympiamannschaft und Teilnehmenden des Olympischen Jugendlagers getroffen. Am Rande dieser Treffen beantwortete das Staatsoberhaupt auch Fragen von Journalisten.

Herr Bundespräsident, Sie waren gerade mit deutschen Sportlern zusammen. Wie ist die Stimmung in der Deutschen Olympiamannschaft?

JOACHIM GAUCK: Wir haben zusammen gegessen, und ich habe einige getroffen im Olympischen Dorf. Glänzende Stimmung. Nicht alle Wunschträume sind heute in Erfüllung gegangen, aber das waren auch nicht so die Spezialdisziplinen, und es gibt unglaubliche Erwartungen. Ich habe ja gestern gemeint: Na ja, wir wollen sie auch nicht unter Druck setzen. Aber natürlich hoffen wir alle, dass das, was in der Vergangenheit möglich war, sich hier in London wiederholt. Die Stimmung ist gut.

Haben Sportler Vorbildfunktion?

Ja, eindeutig. Und ich wünsche mir auch, dass das in der Gesellschaft noch weiter angenommen wird. Ich habe heute Vormittag mit 60 jungen Leuten Frühstück gegessen, die jetzt nicht zu den Spitzensportlern gehören, vielleicht später mal, und die zuhause in ihren Vereinen und darüber hinaus noch in der Jugendarbeit aktiv sind. Wenn Sie die positive Atmosphäre unter diesen jungen Leuten spüren, das ist ein völlig anderes Bild, als wenn Sie zu Hause am Kaffeetisch und vorm Fernseher sitzen und immer hören, wie viele Banausen und Ganoven es gibt, und so einen Verdruss in der Gesellschaft spüren. Der Kontakt mit diesen aktiven Jugendlichen und diesen Athleten zeigt uns: Menschen brauchen das, dass sie das Gefühl haben, an die Grenzen gehen zu können, ohne dass sie dass kaputt macht, sondern dass sie das über Ausdauer schaffen. Dann kommt hinzu: Ein Sportler muss lernen, mit Niederlagen umzugehen, und er muss fair sein. Das sind eigentlich eher normale menschliche Dinge, die ihre Bedeutung aber auch in der Politik haben. Insofern, denke ich, brauchen wird dieses Bewusstsein von einer sportlichen Aktivität eine auch als Vorbereitung zu einer aktiven Bürgerexistenz.

Wie hat Ihnen die Eröffnungsfeier gefallen?

Ich habe natürlich erst mal gestaunt: Was ist denn hier los? Eine Landschaft in einem großen Stadion – das hatte ich noch nicht gesehen, und ich glaube, die meisten Zuschauer auf der Welt auch nicht. Da haben sich die Menschen, die das inszeniert haben, wirklich etwas einfallen lassen. Mich hat etwas anderes begeistert, etwas eher Stilles oder Besonderes. Das war, als die Hymne gesungen wurde. Das kennt man von Großbritannien: Sie lieben auch einen gewissen Pomp und einen gewissen Kraftausdruck bei den nationalen Symbolen. Und nun traten da Kinder vors Publikum, die alle behindert waren, die taub waren, die eigentlich gar nicht singen können – und die sangen die Nationalhymne. Da lief es einem ja kalt über den Rücken, einfach vor Freude, was hier gewagt wurde. Das war für mich sehr überzeugend, weil die Spiele auch zu Gigantomanie neigen. Und dann solch ein stilles Element zu haben, das war ein wunderbarer Ausgleich. Und dann hat mir noch eines besonders gefallen: dass das ganze Stadionrund so intensiv und lange applaudiert hat für die Freiwilligen, die hinter den Kulissen diese gigantische Arbeit gemacht haben. Das war schon unheimlich beeindruckend. Und immer wieder ist es der Geist, der die Menschen miteinander verbindet. Eine Mischung aus Sehnsucht und Erwartung. Sie freuen sich, das wird friedlich abgehen, hoffentlich fair. Das schafft eine Stimmung, die man sich zu anderen Zeiten, in anderen Teilen der Welt und auch bei uns immer wieder wünscht.

Haben Sie mit dem Sport eine innige Beziehung?

Na ja, ich bin jetzt 72, das hält sich das mit dem Sport in Grenzen. Ich kann da Bundes-präsident Weizsäcker und Bundespräsident Köhler nur als Vorbild betrachten. Dem kann ich im Moment nicht nacheifern. Manchmal sitze ich auf dem Fahrrad. Jetzt komme ich aus dem Urlaub und schwimme jeden Tag in der 17 Grad kalten Ostsee, das ist auch ein bisschen sportlich. Aber das reicht nicht aus, sich hier irgendwie als Sportler darzustellen. Ich habe früher als junger Mensch Handball gespielt. Und manchmal sitze ich jetzt auch noch auf manchmal auf einem ganz kleinen Segelboot, das mir Freunde leihen, und segele dann über den Bodden. Das mache ich noch, aber damit darf man hier nicht auftreten als Sportler.

Schauen Sie auf den Medaillenspiegel?

Ja. Ich lese regelmäßig die Sportseiten der verschiedenen Zeitungen und vergleiche sie auch miteinander. Ich würde mir wünschen, dass in den elektronischen Medien neben Fußball auch andere Sportarten, die auch sehr attraktiv sein können, häufiger vorkommen. Das ist ein sehr intensiver Wunsch, den ich habe. Medaillen? Ja. Es muss auch darum gehen, sich in einer Weise zu messen, dass der Beste oder die Beste wissen, ich bin es jetzt. Das spornt unheimlich an. Wenn wir das absolut setzen und die anderen, die mitmachen, nicht mehr sehen, dann würden wir den olympischen Gedanken völlig verfehlen. Natürlich ist die Olympische Bewegung dabei, auch die Ideale von einst weiter zurückzustellen: den Amateur, das Mitmachen aller. Der Fokus richtet sich dann auf diese Wunderathleten, die die Fabelzeiten laufen oder schwimmen. Das ist klar – die Leute lieben Events und wollen andere bewundern. Das können wir nicht wegdiskutieren. Aber die, die hier herkommen und mitmachen, werden auch etwas an Zugewinn von Lebensqualität erleben, wenn sie nicht gewinnen, wenn sie dabei sind und kämpfen. Von daher ist eine solche Veranstaltung immer auch eine Werbung: Der Sport gehört in die Mitte der Gesellschaft. Der Sportunterricht darf nicht verschwinden aus den Schulen, er muss sogar erwei-tert werden. Wir brauchen spielerische Situationen, uns als Bürger ins Leben hineinzubewegen, Fairness zu lernen. Und übrigens: Die Sie hier treffen, die sich hier anstrengen und schinden, die sind alle nicht depressiv. Die sind alle wirklich gut drauf, und zwar dadurch, weil sie sich selber etwas abverlangen. Und so entsteht dann dieses Selbstvertrauen, das ihnen erlaubt, auch im Beruflichen und Privaten wirklich ihren Mann, ihre Frau zu stehen. Natürlich ist das dann nicht gegeben, wenn du nur diesen absoluten Erfolg haben willst, diesen absoluten Kick. Dann kommen wir in den Bereich, wo Depression angesagt ist. Der Normalfall ist die Steigerung der Lebensbejahung. Und deshalb werbe ich für mehr Sport in der Breite der Bevölkerung.

(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 31)


  • Joachim Gauck traf sich mit Athletinnen und Athleten der Deutschen Olympiamannschaft und Teilnehmenden des Olympischen Jugendlagers. Foto: picture-alliance
    Joachim Gauck traf sich mit Athletinnen und Athleten der Deutschen Olympiamannschaft und Teilnehmenden des Olympischen Jugendlagers. Foto: picture-alliance