Freiburger Kreis: Pro und contra Kooperation im Ganztag

Das Sportpolitische Forum beim Herbstseminar des Freiburger Kreises (FK) beim TV Lemgo lotete Leistungskraft und Probleme in Kooperationen im Ganztag aus.

Die Kooperationen mit Schulen bieten Vereinen viele neue Möglichkeiten. Foto: LSB NRW
Die Kooperationen mit Schulen bieten Vereinen viele neue Möglichkeiten. Foto: LSB NRW

Fünf FK-Mitgliedsvereine berichteten von unterschiedlichen Praxis-Erfahrungen. Danach entwickelte eine Talkrunde mit Offiziellen und Spitzensport-Talenten ihre Sicht auf Soll und Ist bei der Ganztagsbetreuung.

Am Ende hatte die Regie des Forums einen Brief vorbereitet, den die 165 Mitgliedsvereine des FK, der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine (750.000 Mitgliedschaften), lokalen Landtags- und Bundestagsabgeordneten zustellen sollen. Zielrichtung: Ganzheitliche und nachhaltige Förderung von Kindern und Jugendlichen im und durch Sport. Appell: „Wir fordern Sie auf, unsere Bemühungen intensiv zu unterstützen und sich für eine verbindliche Regelung auf Bundes- und Landesebene einzusetzen.“ Die Großvereine steuern de Prozessgestaltung und qualifiziertes Trainerpersonal mit pädagogischen Fachkenntnissen bei.

Imponierende und abschreckende Beispiele

Die Vereinsbeispiele waren imponierend und abschreckend zugleich. Am eindrucksvollsten präsentierte sich die TSG Bergedorf, die inzwischen in 15 Grundschulen mit 50 hauptamtlichen Stellen (Erzieher und Sportpädagogen) die Ganztagsbetreuung organisiert. Vorsitzender Boris Schmidt: „Das ist die Chance, wirklich in der Bildungslandschaft Fuß zu fassen. Wir sind froh, dass wir es gemacht haben.“

Vorteile bieten die Nutzung der Schulräumlichkeiten. Keine Betriebskosten, lediglich Personalkosten fallen an. Zwei Millionen Euro städtische Zuschüsse fließen an den Verein. Pädagogische Leitung und schneller Zugriff auf die Schüler - und vor allem auf die Eltern (Mitgliedergewinnung) zahlen sich aus. „Die Angebote richten sich nach dem Interesse der Schüler. Auf 23 Kinder kommt ein hauptamtlicher Erzieher.“ Auch Hallennutzungs-Konflikte  für Angebote des Vereins entspannen sich. Schmidt: „Die Vereine, die gar nicht mit dabei sind, haben Riesenprobleme.“

Ralf Kamp, Vorsitzender des TV Jahn Rheine, berichtete von einem Kooperationsmodell mit anderen Clubs unter Federführung des Großvereins. Das Ziel lautet Bildungspartner auf Augenhöhe. „Das muss man sich Schritt für Schritt erarbeiten. Das funktioniert tatsächlich sehr gut, die Schulen kommen auf uns zu. Wir Sportvereine können jede Stunde, an jeder Schule, zu jeder Zeit.“ Aus zehn bis 20 Stunden pro Woche wurden inzwischen 60 bis 65 Stunden. Ein Katalog (Angebote, Betreuungsleistungen, Übungsleiter) bietet den Schulen Wahlmöglichkeiten. Kamp: „Wir versuchen Sport im Ganztag als Marke aufzustellen.“ Qualität und Verlässlichkeit stehen oben an. Stets ist Jahn Rheine der erste Ansprechpartner für die Schulen.

Marion Weißhoff-Günther, die Geschäftsführerin des TV Ratingen, schilderte den Wandel vom Dienstleistungs-, und Qualitätsmodell zum Mitgliedsmodell. „Qualität kommt bei den Schulen gut an.“ Doch das Fördergeld für diesen Projekt-Ansatz wurde schnell wieder gestrichen. Im Moment hat Ratingen den größten Erfolg in der Kooperation mit einer sportbetonten Schule und erreicht damit das Ziel, Wettkampfsportarten für die Zukunft zu sichern. (Volleyball-Projekt, drei Stunden Sport pro Woche zusätzlich). Auffällig ist die Verlagerung von Interessen der Eltern der Sprösslinge vom Breiten- hin zum Wettkampfsport (deutlicher Zuwachs).

Sportmanager Harry Kibele berichtete vom Kampf des VfL Sindelfingen überhaupt als Partner  zum Zuge zu kommen. Die Caritas wurde von der Kommune federführend benannt. Dann übernahm der Verein doch an zwei Brennpunkt-Schulen (95 bis 100 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund) das Sportmodul. „Das ging nach einem Jahr völlig in die Hosen.“ Das ehrenamtliche Personal aus fünf Abteilungen verweigerte den Einsatz. Inzwischen betreuen qualifizierte Hauptamliche und zwei Partnervereine 64 Stunden. Der Zulauf im Verein und die sportliche Qualität der Kinder wachsen. Davon profitierten Abteilungen, Sportkindergarten und Fitnessstudio.

Patrick Busse, Geschäftsführer des TV Lemgo, schilderte Erfahrungen mit einer sportbetonten Schule (Gymnasium (sportbetonte Klassen) bei der Kooperation mit Leistungsstützpunkten (Triathlon, Handball, Kunstradsport, Fußball). Dabei geht es um ganzheitliche, nicht um sportspezifische Ausbildung und darum, für die halbwüchsigen Talente die Doppelbelastung Schule und Sport aufzufangen - mit Nachführungsunterricht und bei der Gestaltung von Klausurterminen. Im Vordergrund stehen pädagogische Leitlinien. Stets hat Schule (Bildungsabschluss) Vorrang vor Sport, wenn es in der Entwicklung klemmt.

Tendenz bei Kooperationen steigend

FK-Beiratsmitglied Professor Georg Anders (Köln) flankierte die Praxisbeispiele mit Erkenntnissen der Sportentwicklungsstudie 2011/12 zum Ganztag. Diese werden jedoch in den Vereinen aufgrund der föderalen Bildungsstrukturen und unterschiedlichen Förderung oft so nicht wahrgenommen. Der Sportentwicklungsbericht bilanziert 17,8 Prozent Kooperationen, bei Vereinen über 2.500 Mitglieder 69,2 Prozent. Tendenz generell steigend. Die Daten offenbaren zugleich mehr Kaderathleten, mehr Kinder und Jugendliche, weniger Probleme mit Bindung und Gewinnung von Leistungssportlern und ehrenamtlichen Funktionsträgern sowie weniger Probleme mit Zeitbudgets und bei der Hallennutzung, wenn die Kooperation passt.

Erfolgsfaktoren sind Qualität der Übungsleiter/Trainer (50 Prozent), beidseitiges Interesse (35 Prozent), Konzept (30) Alternative Angebote (19) und vorhandene Infrastruktur (18). Gegen das Zusammenspiel sprechen zu große Erwartungen (40 Prozent) und fehlende Übungsleiter (Zahl/Qualität).

Die Diskussionsrunde mit den Talenten vertiefte Chancen und Defizite im Kooperationsalltag: Gefordert sind Qualität und Verlässlichkeit auf beiden Seiten, Vertrauen und Mitgestaltung (Bildungspartner). Nachwuchssportlern fehlt das Verständnis nicht sportinteressierter Lehrkräfte selbst am sportbetonten Gymnasium für ihre sportlichen Freiräume. Zeitmanagement, knappe finanzielle Unterstützung von Bund, Land und Fachverband sind weitere Knackpunkte. Auch Gestaltungsspielraum gehört dazu. FK-Versitzender Wolfgang Heuckmann (Paderborn) selbst Pädagoge betonte: „Beide Seiten müssen tolerant sein. Ideal wären Sportlehrer in den Schulen, die gleichzeitig Übungsleiter im Verein sind.“ Diese Kombination sei jedoch selten geworden.

Das föderale Bildungssystem mit unterschiedlichen Inhalten und Lernniveau verwehrt oder erschwert Talenten den Schritt in Leistungszentren anderer Bundesländer - ein Handikap für die Nachwuchsförderung.

Investitionen in Mitarbeiter fehlen

Interessante Erkenntnisse offenbarte beim FK-Seminar in Lemgo die erste Bildungsstudie des IST-Studieninstituts Düsseldorf (berufsbegleitende Weiterbildung), die auf einer Umfrage des hauptamtlichen Personals in den FK-Vereinen fußt. Aus zwei Fragebögen der Privat-Universität (Sportbusiness/-management) wurde deutlich: die Schlüsselqualifikation Bildung verlangt Investitionen in die Mitarbeiter, ein Feld, das selbst bei den professionalisierten Großvereinen unterentwickelt ist.

33 Prozent der Mitarbeiter nutzen keine Weiterbildung. 20 Prozent führen bestenfalls alle zwei Jahre Mitarbeiter-Gespräche. Die gleiche Quote gilt auch für Auszubildende im Verein, die insgesamt zu wenig Feedback reklamieren: kein Ausbildungsplan, keine Struktur, keine Motivation. Das duale Ausbildungssystem mit starkem Praxisbezug und Anbindung an den Verein zahlt sich aus. Überraschend ist der Zufriedenheitsgrad im Zusammenspiel zwischen Haupt- und Ehrenamt in den Vereinen. Dreiviertel der befragten Azubis und 60 Prozent der Führungskräfte nannten das Verhältnis gut bis sehr gut, lediglich sechs Prozent gerade ausreichend.

78 Prozent der Hauptamtlichen in den FK-Vereinen arbeiten mehr als 48 Stunden in der Woche. Ein Drittel verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung, ein Drittel bis zu zehn Jahren. Führungskräfte in den Großvereinen sind deutlich jünger. 70 Prozent sind Akademiker, 50 Prozent haben einen Sportbezug (Ausbildung/Studium), 62 Prozent keine Erfahrungen im kommerziellen Bereich.

Handlungsempfehlungen aus der Studie lauten: Klare Stellenbeschreibung, Potentialanalysen. Stärkung der Fach- Sozial- und Methoden-Kompetenz. Förderung der Kooperation von Haupt- und Ehrenamt. Klare Strukturen und Ausbildungspläne. Attraktive Feedback-Instrumente. Wolfgang Heuckmann appellierte an die 165 Mitgliedsvereine der AG Großsportverein, die 2014 schon 40 Jahre alt wird: „Wir müssen hier besser werden. Wir wollen in der deutschen Vereinswelt die besten sein, daran müssen wir arbeiten.“

(Quelle: DOSB)


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