Migranten bestimmen selten mit

Der neue Sportentwicklungsbericht zeigt: Weniger als 3 Prozent der ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder in den Vereinen haben eine Zuwanderungsgeschichte.

Im Ehrenamt aktiv - und als interkulturelle Trainer: Teilnehmende einer Schulung des Programms IdS
Im Ehrenamt aktiv - und als interkulturelle Trainer: Teilnehmende einer Schulung des Programms IdS

Es gibt viel zu tun, das weiß man als Integrationsarbeiter – und manchmal sieht man es schwarz auf weiß. Der nun vorliegende Sportentwicklungsbericht 2011/2012 zum Beispiel zeigt, dass Sportvereine Spiegelbilder der Gesellschaft sind, jedenfalls in einer für die Integrationsfrage sehr wichtigen Hinsicht: Menschen mit Zuwanderungsgeschichte besetzen selten gestaltende Positionen. Nur 2,7 Prozent der ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder in den befragten Vereinen haben einen Migrationshintergrund.

Auch wenn das ein annähernder Wert ist, der auf Schätzungen der Vorstandsmitglieder beruht (siehe Kasten): Er verdeutlicht, dass Migranten auch im Sport deutlich seltener an Entscheidungen beteiligt sind als davon betroffen. Denn der Anteil Zugewanderter an den Vereinsmitgliedern lässt sich zwar nur überschlagen, weil die diesbezüglichen Daten der jüngsten Sportentwicklungsberichte ungleiche Grundlagen haben (verschiedene Vereine als Basis, nach Geschlechtern getrennte versus geschlechterübergreifende Zahlenangaben et cetera) und stark variieren: 10,1 Prozent im Jahr 2007/08 stehen 9,3 Prozent (2009/10) respektive 5,4 Prozent (2011/12) gegenüber. Aber in jedem Fall liegt er weit unter den rund 19 Prozent in der Gesamtbevölkerung und klar über den besagten 2,7 Prozent Migranten auf Führungsebene. Besonders Frauen gestalten den Lauf der Dinge in den Vereinen selten mit. Nur 1,2 Prozent der weiblichen Vorstandsmitglieder sind ausländischer Herkunft, bei den männlichen sind es 2,8 Prozent.

Berlin setzt den Maßstab

Außer nach Geschlecht schlüsselt der Sportentwicklungsbericht den Anteil ehrenamtlicher Migranten unter anderem nach Bundesländern auf. Erwartungsgemäß liegt er in Berlin am höchsten (4,6 Prozent). Jenseits dessen übersteigt er in Nordrhein-Westfalen (3,7), Hessen (3,6), Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg (je 3,1) und Bayern (2,9) den Durchschnitt. Am deutlichsten darunter liegt er in Thüringen (0,6), Sachsen (0,9), Brandenburg und Schleswig-Holstein (je 1,2). Generell gilt, auch das nicht überraschend: Je größer die Stadt, desto interkultureller die Vereinsvorstände. Sind es in Gemeinden bis 20.000 Einwohner 2,1 Prozent im Schnitt, wächst dieser Wert in Großstädten (100.000 bis 500.000 Einwohner) auf 3,9 und in Metropolen (über 500.000) auf 4,2 Prozent.

Umgekehrt verhält es sich unter dem Aspekt Vereinsgröße: Weniger Köpfe bedeutet mehr Mitsprache durch Zugewanderte. In Sportvereinen mit unter 100 Mitgliedern haben statistisch 3,8 Prozent der Vorstandsbeteiligten einen Migrationshintergrund, in solchen mit 100 bis 300 Zugehörigen sind es 2,3 Prozent. Darüber hinaus schwankt der Anteil kaum, er pendelt sich bei etwa 1,7 Prozent ein. Der Vergleich zwischen Ein- und – tendenziell größeren –  Mehrspartenvereinen bestätigt diese Zahlen: Bei Ersteren wirken durchschnittlich 3,0 Prozent Migranten im Vorstand mit, bei Letzteren sind es lediglich 2,2 Prozent.

 

Sportentwicklungsbericht, der Vierte

Der gerade vorgestellte Sportentwicklungsbericht 2011/2012 liefert eine „Analyse zur Situation der Sportvereine in Deutschland“, so der Untertitel. Vom DOSB und dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Auftrag gegeben, wurde er von einem Team um Christoph Breuer erstellt, Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln. Die Daten für die vierte Auflage entstammen einer Befragung, auf die 22000 Sportvereine antworteten – so viele haben sich noch nie beteiligt. Die Angaben zum Themenkomplex Integration und Migration unterliegen dabei der Schwierigkeit, dass die Vereine die Herkunft ihrer Mitglieder nicht abfragen, sondern nur vermuten können – sie müssen den Anteil Zugewanderter schätzen

.    

Die Unterscheidung nach Sportart verlangt einen besonderen Hinweis: Viele Disziplinen werden überwiegend in Mehrspartenvereinen angeboten. Ehrenamtliche Vorstandsmitglieder aber lassen sich nicht einer bestimmten Abteilung zuordnen, die Daten sind demzufolge bedingt aussagekräftig. Andererseits liegen exakt jene Sportarten vorne, die man dort vermutet: Boxen mit 6,3 Prozent Zugewanderten in Vorständen, Fußball mit 4,1 und Basketball mit 3,6 Prozent. Dass auch die Vereinsführungen im Golf relativ bunt besetzt sind (4,2 Prozent), hat wohl mit der enormen Popularität des Sports etwa unter angelsächischen Zuwanderern zu tun, aber auch damit, dass über 70 Prozent dieser Vereine keine andere Sportart anbieten. Im Basketball etwa liegt die Quote der Einspartenvereine bei nur rund 14 Prozent.

Und doch ist der Sport voraus

Grundsätzlich sind die Zahlen nicht leicht einzuordnen. Ein Vergleich mit den letzten Sportentwicklungsberichten ist wegen der teils variierenden Fragestellungen und Inhalte nur bedingt möglich. Die Indizien sprechen aber dafür, dass der Anteil ehrenamtlicher Vorstandsmitglieder mit Migrationshintergrund zwar leicht über jenem von 2007/08, aber unter dem von 2009/10 liegt. Für „Integration durch Sport“ sind die Zahlen insofern eine Bestätigung, als sich das DOSB-Programm seit einiger Zeit unter anderem auf die Mitgestaltung des Vereinslebens durch Migranten konzentriert, sei es als Trainerin oder Betreuer oder auch als Vorstandsmitglied. Wobei die letzte Evaluation des Programms von 2009 zwar keinen direkten Vergleich mit dem Sportentwicklungsbericht erlaubt, aber auf eine klar überdurchschnittliche Beteiligung von Migranten in den Stützpunktvereinen hinweist. Aktuelle Daten hierzu soll die nächste, für 2013 geplante Evaluation liefern.

Im Übrigen haben frühere Studien gezeigt, dass sich Zugewanderte im Sport allgemein stärker engagieren als in anderen Bereichen. In einer Expertise zum „Freiwilligen Engagement von Personen mit Migrationshintergrund im Sport“ etwa schreiben die Berliner Sportsoziologen Sebastian Braun und Tina Nobis anhand einer großen (aber nicht repräsentativen) Umfrage, dass sich 6,8 Prozent der Migranten in Sportvereinen ehrenamtlich einbrächten; deutlich mehr als etwa in „Schule und Kindergarten“ (5,7 Prozent), „Kirche und Religion“ (4,1 Prozent) sowie „Kultur und Musik“ (4,0 Prozent), die dem am nächsten kamen. Bei Sportvereinsangehörigen ohne Migrationshintergrund waren es hingegen 10,8 Prozent.

Text: Nicolas Richter


  • Im Ehrenamt aktiv - und als interkulturelle Trainer: Teilnehmende einer Schulung des Programms IdS
    Im Ehrenamt aktiv - und als interkulturelle Trainer: Teilnehmende einer Schulung des Programms IdS