"Sie schaffen eine Verbindung"

Migrantensportvereine sind ein Phänomen des organisierten Sports, das viel diskutiert und wenig erforscht wird. Die Expertise des Potsdamer Sportsoziologen Prof. Silvester Stahl schafft Abhilfe.

Der Sportsoziologe Prof. Dr. Silvester Stahl forscht und lehrt an der Fachhochschule für Sport und Management Potsdam. (Foto: privat)
Der Sportsoziologe Prof. Dr. Silvester Stahl forscht und lehrt an der Fachhochschule für Sport und Management Potsdam. (Foto: privat)

Sogenannte Migrantensportvereine sorgen nicht nur in den Sportverbänden für Fragezeichen. Was meint diese Bezeichnung? Was verbindet diese Vereine und was trennt sie – voneinander wie von dritten? Und nicht zuletzt: Welche Bedeutung haben sie für die Integrationsarbeit im organisierten Sport?

Das Thema ist knifflig. Weil es der Begriff des (selbstorganisierten) „Migrantensportvereins“ ist. Im Gespräch mit "Integration durch Sport" gibt Prof. Dr. Stahl einen Ausblick auf seine wissenschaftliche Expertise. 

Herr Prof. Stahl, Sie haben im Auftrag des DOSB eine Expertise erstellt, die sich mit sogenannten Migrantensportvereinen befasst. Sind solche Vereine ein neues Phänomen?

Nein, keineswegs. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es z.B. polnische Sportvereine im Ruhrgebiet. Auch die heutigen Migrantensportvereine sind längst keine neue Erscheinung mehr. Die Ältesten von ihnen sind schon in den 1960er Jahren gegründet worden.

<media 39268 _blank download "Initiates file download">Initiates file downloadDownload >>></media> Expertise zum Thema Migrantensportvereine


Stichwort Parallelgesellschaft, sehen Sie in Migrantensportvereinen eine Tendenz zur Abgrenzung von Lebenswelten?

Nur sehr bedingt. Es gibt zwar durchaus Migrantensportvereine, in denen Zuwanderer der gleichen Herkunftsgruppe vollständig unter sich bleiben. Bei einer Minderheit der betreffenden Vereine sind solche Abgrenzungstendenzen auch beabsichtigt. Die meisten Migrantensportvereine sind aber offen – für Mitglieder unterschiedlicher Herkunft, für eine Zusammenarbeit mit anderen Vereinen oder für eine Beteiligung an Verbandsaktivitäten. Man muss also zwischen den einzelnen Vereinen differenzieren und sollte keine Verallgemeinerungen vornehmen.

Sie beschreiben in Ihrer Expertise verschiedene Typen von Migrantensportvereinen. Welche Unterschiede weisen diese Typen in Bezug auf integrative Potentiale auf?

Aussiedlervereine und multiethnische Vereine, in denen sich Zuwanderer aus unterschiedlichen Ländern zusammengeschlossen haben, setzten sich wohl etwas häufiger gezielt für Integration ein als ethnische Vereine, die von einer einzelnen Herkunftsgruppe dominiert werden. Aber auch die ethnischen Vereine haben ihre besonderen Integrationspotenziale, da sie meist gut in den jeweiligen ethnischen Communitys verankert sind. Indem sie gleichzeitig den Sportverbänden angehören und am allgemeinen Sportbetrieb teilnehmen, schaffen sie eine Verbindung zwischen diesen Communitys und der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Dadurch erfüllen sie gewissermaßen eine Brückenfunktion.  

Das Programm „Integration durch Sport“ engagiert sich seit vielen Jahren für die interkulturelle Öffnung von Sportvereinen. Mehr als 750 Vereine in Deutschland werden als integrative Stützpunkte gefördert. Was wären Ihre Empfehlungen für die Arbeit des Programms in Bezug auf Migrantensportvereine?

Es gibt bereits mehrere Migrantenvereine, die sich als Stützpunktvereine oder Kooperationspartner des Programms bewährt haben. Ihre Zahl wird sich in den nächsten Jahren erhöhen, da bin ich mir fast sicher. Denn Migrantensportvereine können in die Integrationsarbeit nicht nur ihre interkulturellen Kompetenzen einbringen, sondern meist auch einen sehr guten Zielgruppenzugang. Das Programm wäre schlecht beraten, diese Potenziale nicht zu nutzen. Es sollte sich deshalb gezielt darum bemühen, mehr Migrantensportvereine für eine Zusammenarbeit – in welcher Form auch immer – zu gewinnen.

(Quelle: DOSB / Das Interview führte Stephan Vogl)


  • Der Sportsoziologe Prof. Dr. Silvester Stahl forscht und lehrt an der Fachhochschule für Sport und Management Potsdam. (Foto: privat)
    Der Sportsoziologe Prof. Dr. Silvester Stahl forscht und lehrt an der Fachhochschule für Sport und Management Potsdam. (Foto: privat)