Sport bleibt für engagierte Jugendliche wichtig

Prof. Sebastian Braun im Interview zu der Sonderwertung der Freiwilligensurveys 1999 bis 2009, bei der das Engagement von Jugendlichen im Vordergrund steht.

Der Sport ist das beliebteste Betätigungsfeld von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Foto: LSB NRW
Der Sport ist das beliebteste Betätigungsfeld von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Foto: LSB NRW

Ihr Bericht zum freiwilligen Engagement von Jugendlichen im Sport ist vor kurzem publiziert worden. Was zeigen die Ergebnisse des Berichts?

PROF. SEBASTIAN BRAUN: In dem vorgestellten Bericht werden eine Reihe von Ergebnissen hervorgehoben, die selbstverständlich nicht die Vielfalt der Befunde reflektieren können, die sich auf der Basis der thematisch relativ breit angelegten Freiwilligensurveys erarbeiten lassen. Gleichwohl dürfte ein Einblick in relevante Formen und Veränderungen des freiwilligen Engagements von Jugendlichen im Sportbereich gegeben werden.

Betrachtet man die Ergebnisse, dann ist zunächst der Befund hervorzuheben, dass im Sportbereich die Aktivitätsquote der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland über den Zehnjahreszeitraum hinweg bei über 50 Prozent liegt. Unter quantitativen Gesichtspunkten bildet der Sportbereich damit konstant und mit deutlichem Abstand vor allen anderen untersuchten Handlungsbereichen den wichtigsten Raum zivilgesellschaftlicher Aktivitäten von Jugendlichen in Deutschland. Das Sportvereinswesen unter dem Dach der komplexen Systems der Sportverbände und -bünde dürfte dabei nach wie vor eine zentrale Rolle spielen, auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten jenseits des vereinsorganisierten Sports eine vielfältige zivilgesellschaftliche Infrastruktur sportbezogener Projekte und Initiativen herausgebildet hat. Da aber die mehr als 90.000 Sportvereine in Deutschland bis in die lokalen Verästelungen der zivilgesellschaftlichen Wirklichkeit reichen und ihre Selbstorganisationspraxis in sehr hohem Maße auf dem freiwilligen Engagement der Mitglieder basiert, werden sie nach wie vor den Nukleus für – zumindest längerfristige – zivilgesellschaftliche Aktivitätsformen von Jugendlichen im Sportbereich darstellen.

Sie berichten aber auch, dass gerade im Sport das Engagement rückläufig ist.

Ja, das ist richtig. Wie die Daten erkennen lassen, hat im Sportbereich das freiwillige Engagement der 14- bis 24-Jährigen von 1999 bis 2009 deutlich abgenommen: Die Engagementquote sinkt im Zehnjahreszeitraum um 2,6 Prozentpunkte von 14,8 Prozent auf 12,2 Prozent und damit dynamischer als in dieser Altergruppe im bundesweiten Durchschnitt insgesamt. In Absolutzahlen ausgedrückt sind in diesem Zeitrahmen hochgerechnet ca. 265.000 Jugendliche dem Sportbereich als freiwillig Engagierte verloren gegangen; kein anderes Handlungsfeld hat eine vergleichbare Zahl an jugendlichen Engagierten eingebüßt.

Gleichwohl bildet der Sportbereich mit seiner zweistelligen Engagementquote bei den 14- bis 24-Jährigen weiterhin den mit Abstand größten Engagementbereich in Deutschland. Während also insgesamt ein weitgehend konstanter und überdurchschnittlich hoher Anteil der Jugendlichen in Deutschland im Sportbereich aktiv ist und insofern die entsprechenden Leistungen etwa in Sportvereinen in Anspruch nimmt, reduziert sich parallel dazu der Anteil derjenigen Jugendlichen, die sich im Sportbereich freiwillig an der Leistungserstellung beteiligen.

Gibt es dabei besonders auffällige Gruppen?

Ja, durchaus. Die rückläufigen Engagementquoten sind zum Beispiel bei den Studierenden in der untersuchten Altersgruppe besonders bemerkenswert. Ihre Quote sinkt im Sportbereich von 21,9 Prozent im Jahr 1999 auf 13,4 Prozent im Jahr 2009. Aber auch bei den Schülerinnen und Schülern sind Rückgänge in moderaterer Form unübersehbar. Die Annahme erscheint nicht unbegründet, dass diese auffälligen Rückgänge auch durch Strukturveränderungen im Schul- und Hochschulsystem in den 2000er Jahren mitverursacht wurden. Exemplarisch dafür stehen die Bologna-Prozesse im Hochschulsystem, die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur, G8 genannt, oder die zunehmende Verbreitung der Ganztagsschule – strukturelle Veränderungen, die unter anderem auf die zeitlichen Handlungspielräume von Jugendlichen für ein freiwilliges Engagement im Sportbereich limitierend gewirkt haben dürften.

Gilt das auch für das Engagement in Leitungs- und Vorstandsfunktionen?

Nein, interessanter Weise nicht. Der Anteil der Jugendlichen, die im Rahmen ihres freiwilligen Engagements im Sportbereich Leitungs- und Vorstandsfunktionen wahrnehmen, hat im Zehnjahreszeitraum dynamisch zugenommen: von 21,1 Prozent im Jahr 1999 über 23,1 Prozent in 2004 auf 28,1 Prozent im Jahr 2009. Dieser Anstieg um 7 Prozentpunkte ist einerseits bemerkenswert, weil er im Kontrast zur allgemeinen Tendenz im Sportbereich steht, in dem eine rückläufige Quote unter den Engagierten in Leitungs- und Vorstandsfunktionen zu erkennen ist. Andererseits ist er auffällig, weil der Anstieg des prozentualen Anteils unter den freiwillig engagierten 14- bis 24-Jährigen, die in Leistungs- und Vorstandsfunktionen tätig sind, insgesamt deutlich geringer ausfällt als im Sportbereich.

Sie haben an anderer Stelle einmal von einem „PISA-Effekt“ im Zusammenhang mit dem freiwilligen Engagement gesprochen. Zeigt sich so ein Effekt auch beim jungen Engagement im Sport?

Durchaus kann man die PISA-Studien als Referenz heranziehen, um die markanten bildungsspezifischen Ungleichheiten beim freiwilligen Engagement von Jugendlichen weitergehend zu interpretieren. So weisen im Jahr 2009 rund zwei Drittel der freiwillig engagierten Jugendlichen im Sportbereich ein hohes Bildungsniveau auf bzw. streben hohe Bildungsabschlüsse an, während gerade einmal 5,7% von ihnen niedrige Bildungsqualifikationen erworben haben oder voraussichtlich erwerben werden. Die Chance für einen Jugendlichen, der ein hohes „Bildungskapital“ aufweist, sich im Sportbereich freiwillig zu engagieren, lag im Jahr 2009 um das 2,2fache höher als für einen Jugendlichen mit niedrigem Bildungskapital. Diese Ergebnisse lassen sich in Orientierung an die Arbeiten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu so interpretieren, dass die bildungsaffinen Jugendlichen ihr Engagement als Bestandteil eines bildungsorientierten Lebensstils und kulturelle Praxis im öffentlichen Raum betrachten, der individuelle Erfahrungs- und Perspektiverweiterungen wie auch Selbstverwirklichungspotenziale in der zivilgesellschaftlichen Wirklichkeit eröffnet. Denn analog zur bevorzugten Literatur oder Musik lässt sich ein freiwilliges Engagement im Sportbereich immer auch als Ausdruck eines bestimmten Lebensstils mit den entsprechenden Praktiken und Objekten der symbolischen Lebensführung deuten.

Was kann das für die sportverbandliche Praxis bedeuten?

Für eine sportbezogene Engagementpolitik für Jugendliche und von Jugendlichen ist es meines Erachtens sinnvoll, sportbezogene und engagementbezogene Debatten enger miteinan-der zu verzahnen und auf diese Weise politische Konzepte, praktische Ansätze und Erfahrungen wie auch Forschungsfragen und  Ergebnisse systematischer aufeinander zu beziehen. Exemplarisch dafür stünde etwa der Versuch, die Diskussionen über freiwilliges Engagement und Möglichkeiten staatlicher Engagementförderung zugunsten von Jugendlichen im Sportbereich enger mit den Debatten über individuelle Teilhabechancen zu verbinden; denn eine zentrale Herausforderung von Staat und Politik dürfte zukünftig darin bestehen, das bisherige wohlfahrtsstaatliche Arrangement so weiterzuentwickeln, dass der individuelle Anspruch auf bürgerschaftliche Teilhabe an den Lebensmöglichkeiten der Gesellschaft für Jugendliche garantiert werden kann – und dazu dürften auch Teilhabechancen an kulturellen Praktiken im Sportbereich gehören. In diesem Kontext könnten innovative Modellprogramme in Kooperation zwischen Akteuren staatlicher Engagement- und Sportpolitik einerseits und Sportverbänden und  vereinen andererseits als mögliches Korrektiv zu wachsenden sozialen Ungleichheiten bereits im Jugendalter zweckmäßig sein und systematisch erprobt werden.

(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 37)


  • Der Sport ist das beliebteste Betätigungsfeld von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Foto: LSB NRW
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