Vereinssport und das Grundgesetz

Am 23. Mai 2019 wird das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 70 Jahre alt. Prof. Hans-Jürgen Schulke beleuchtet aus diesem Anlass die Beziehung zum demokratisch organisierten Vereinssport.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland besagt in Artikel 9: Alle Deutschen haben das Recht Vereine und Gesellschaften zu bilden. Foto: picture-alliance
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland besagt in Artikel 9: Alle Deutschen haben das Recht Vereine und Gesellschaften zu bilden. Foto: picture-alliance

Man sollte es kennen, denn es hat unserem Land so lange wie noch nie Frieden, Wohlstand, Zusammenhalt ermöglicht. In knapper wie eindringlicher Prosa schreibt es unsere Rechte auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Glauben, Information, Bildung, Beruf, Ortswahl, auch Verantwortung für Andere und das Ganze fest. Wir sollten es lieben und leben, aktiv für Paragrafen und Geist eintreten. Denn diese Rechte sind immer wieder gefährdet, müssen erkämpft und verteidigt werden. Gerade jetzt.

Im  Artikel 9 (Grundrechte) heißt es schlicht: Alle Deutschen haben das Recht Vereine und Gesellschaften zu bilden. Der lapidare Satz – einer der kürzesten bei den Grundrechten –  ist das Versprechen sich im Alltag demokratisch organisieren zu dürfen. Für unterschiedlichste Tätigkeiten dürfen Menschen sich freiwillig zusammenschließen und auch wieder lösen, jeder darf mit seiner Stimme mitreden und gleichberechtigt mitentscheiden, Macht und Verantwortung wird auf Zeit gewählt, gemeinsam dürfen Interessen nach außen vertreten werden. In 600 000 Vereinen machen Deutsche davon Gebrauch. Es ist die DNA unserer Demokratie.

Erst  1848 ist das Vereinsrecht erstmals in der Frankfurter Nationalversammlung  beschlossen worden, war vorher lange bekämpft und später immer wieder unter undemokratischer Herrschaft außer Kraft gesetzt. Niemand weiß das besser als die Vereinssportbewegung in Deutschland, die heute mit 27 Mio. Mitgliedschaften in über 90 000 Vereinen die größte zivilgesellschaftliche Organisation hierzulande ist. Vor über 200 Jahren fand sie auf dem ersten Turnplatz des „Turnvaters“ Jahn in Berlin ihre Urform, der in kurzer Zeit fast 200 weitere Plätze mit zigtausend Turnern folgten.

Seitdem sind Turnvereine und Turnplätze nie länger als 20 Jahre uneingeschränkt erlaubt worden: Turnsperre 1819, Vereinsverbot nach gescheiterter Verfassung 1850, Sozialistengesetz 1878, Gleichschaltung 1933,  Verbote von Vereinen durch die Alliierten bis 1949. Und doch haben sich trotz Verboten, Kriegen, Flucht und Zerstörung die Menschen immer wieder zu Vereinen gefunden, sich gegenseitig unterstützt, das Vereinsleben aufgebaut und für viele Menschen erfüllte Freizeit wie langjährige Freundschaften ermöglicht , letztlich ein gutes Stück Heimat in Freiheit geschaffen. Mit dem Grundgesetz von 1949 wurde die Bildung von Vereinen zum prominenten Grundrecht erklärt.

Der deutsche Vereinssport hat die ununterbrochene Freiheit zur Selbstorganisation zu einer Erfolgsgeschichte  gemacht. Jeder dritte Deutsche ist heute Mitglied in einem Sportverein, den man in fast jedem Ort findet. Das sportbezogene Vereinswesen – vom Staat in vielfältiger Form unterstützt – hat zigtausend Sportstätten selbst gebaut, bietet rund 200 Sportarten für Jeden an, hat lokale und internationale Wettkämpfe organisiert, mit dem Fitness- und Gesundheitssport Millionen die Lebensqualität erhöht und verlängert, Fremde aus  anderen Ländern integriert und die Inklusion behinderter Menschen praktiziert, mit Schulen in der Ganztagsbetreuung kooperiert.  Ungezählte Menschen sind zum Helfer, Trainer oder Vorstand ausgebildet worden. Nicht zuletzt hat er den anderen Weg des Sports im Osten Deutschlands aufgenommen und mit der Vereinigung 1989 ein gemeinsames Vereinswesen entwickelt, wie es sich auch viele andere Länder wünschen.

Das Vereinsrecht hat zusammen mit anderen Freiheitsrechten Vereinen kreative Selbstorganisation in Gemeinschaft ermöglicht. Der Sport hat das aufgenommen und auf seine Weise das Grundgesetz mit lebendiger Bewegung erfüllt. Er wird mit seinen Vereinen dafür eintreten, dass es so bleibt.

(Autor: Prof. Hans-Jürgen Schulke)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


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    Das Buch "Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland" liegt auf einem Tisch neben Schreibutensilien.